17 For a While
  2. Kapitel
 

Es ist noch nicht das ganze zweite Kapitel, momentan etwa 15 von 25 Seiten. Der Rest folgt so schnell wie möglich ;D
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2. Wie ein offenes Buch

Ich lehnte mich in die leichte Schneewehe, das trockene Pulver verformte sich unter meinem Gewicht. Meine Haut hatte sich der Kälte hier angepasst, war eisig, und die kleinen Kristalle fühlten sich an wie Samt auf meiner Haut.
Über mir spannte sich ein klarer, sternenübersäter Himmel, manchmal blau glühend, manchmal in hellem Gelb. Die Sterne bildeten majestätische, umherwirbelnde Formen im sonst so trostlos schwarzen Universum - ein ehrfürchtiger Anblick. Wunderschön. Wäre es jedenfalls gewesen, wenn ich wirklich in der Lage gewesen wäre, sie richtig wahrzunehmen.
Es wurde einfach nicht besser. Sechs Tage war es nun her, sechs Tage, während derer ich mich hier in der Wildnis von Denali versteckt hatte, aber ich war keinen Schritt weiter als in jenem Moment, in dem sie und ihr Geruch das erste Mal begegnet waren.
Als ich hinauf in den funkelnden Himmel starrte, schien es, als stehe irgendetwas zwischen meinen Augen und dieser Schönheit - es war ein Gesicht, nur ein unscheinbares menschliches Gesicht, doch ich konnte es einfach nicht aus meinen Gedanken verbannen.
Ich hörte die näher kommenden Gedanken vor den leisen Schritten, die sie begleiteten. Das Geräusch war nur ein gedämpftes Flüstern, beinahe erstickt vom Schnee. Ich war nicht überrascht, dass Tanya mir hierher gefolgt war. Ich wusste, dass sie seit Tagen über die jetzt bevorstehende Unterhaltung gegrübelt hatte, es immer wieder hinausgeschoben hatte, bis sie sich absolut sicher war, was sie sagen wollte.
Sie sprang mehr als sechzig Meter vor mir in Sichtweite, auf die Spitze eines dunklen Felsvorsprungs und balancierte dort auf den Ballen ihrer nackten Füße.
Tanyas Haut schimmerte silbern im Licht der Sterne, und ihre langen blonden Haare schienen blass, fast rosa mit ihrem seltsamen Rotstich. Ihre bernsteinfarbenen Augen funkelten, als sie zu mir spähte, halb verborgen im Schnee, und ihre vollen Lippen verzogen sich langsam zu einem Lächeln.
Wunderschön. Wenn ich sie richtig hätte sehen können.
Sie kauerte sich auf dem Felsen zusammen, ihre Fingerspitzen berührten den kalten Stein, und sie beugte sich leicht nach vorn.
Arschbombe, dachte sie.
Mit einem gewaltigen Satz katapultierte sie sich in die Luft; Ihre Umrisse waren nicht mehr als dunkle wirbelnde Schatten, als sie anmutig an mir vorbei flog. Sie rollte sich zu einer Kugel zusammen, als sie neben mir im Schnee landete. Ein kleiner Schneesturm wirbelte auf. Ich konnte die Sterne nicht mehr sehen, war bedeckt mit federweichen Eiskristallen.
Ich seufzte wieder, machte aber keine Anstalten, mich zu bewegen. Die Dunkelheit änderte auch nichts an der Sicht. Ich hatte immer noch dasselbe Gesicht vor Augen.
"Edward?"
Wieder wirbelte Schnee umher, als Tanya schnell anfing mich wieder auszugraben. Sie fegte den Schnee aus meinem regungslosen Gesicht, sah mir dabei aber immer noch nicht in die Augen.
" 'Tschuldigung", murmelte sie. "Es war ein Scherz."
"Ich weiß. Es war lustig."
Sie zog die Mundwinkel nach unten. "Irina und Kate meinen, ich soll dich in Ruhe lassen. Sie glauben, ich nerve dich."
"Tust du nicht", versicherte ich ihr. "Ganz im Gegenteil, ich bin derjenige, der unhöflich ist - furchtbar unhöflich. Es tut mir wirklich leid."
Du wirst nach Hause gehen, oder? , dachte sie.
"Ich ... bin mir noch nicht sicher, was das angeht."
Aber du bleibst nicht bei uns. Ihre Gedanken klangen jetzt wehmütig, traurig.
"Nein. Es scheint, als ... als helfe es nicht."
Sie verzog das Gesicht. "Es liegt an mir, oder?"
"Natürlich nicht", log ich ohne mit der Wimper zu zucken.
Sei kein Gentleman. 

Ich lächelte.
Du fühlst dich unwohl wegen mir, warf sie mir vor.
"Nein."
Sie hob eine Augenbraue und schaute so ungläubig drein, dass ich gar nicht anders konnte. Ich lachte kurz auf, dann jedoch seufzte ich.
"Okay", gab ich zu. "Ein bisschen."
Auch sie seufzte, dann stützte sie das Kinn in die Hände. Ihre Gedanken waren nun verdrießlich.
"Du bist tausendmal schöner als die Sterne, Tanya. Natürlich weißt du das schon, aber ... lass dir von meiner Sturheit nicht den Mut nehmen."
Ich kicherte bei dem Gedanken an diese untypische Situation.
"Ich ... bin Abweisungen nicht gewöhnt", brummte sie und zog einen verführerischen Schmollmund.
"Natürlich nicht", stimmte ich zu und versuchte erfolglos ihre Gedanken auszublenden, als sie an ihre zahllosen Eroberungen dachte. Menschliche Männer mochte Tanya am liebsten - für eine Sache waren sie viel besser geeignet, mit dem Vorteil, weich und warm zu sein. Und definitiv eifriger.
"Sukkubus", zog ich sie auf und hoffte, sie so von den Bildern in ihrem Kopf abzulenken.
Sie grinste, ließ ihre Zähne aufblitzen. "Das Original."
Anders als Carlisle hatten Tanya und ihre Schwestern ihr Gewissen nach und nach entwickelt. Am Schluss war es ihre Vorliebe für menschliche Männer gewesen, die die Schwestern dazu gebracht hatte, diesen Grausamkeiten abzuschwören. Und heute ... lebten ... die Männer, die sie liebten.
Als du hier aufgetaucht bist", sagte Tanya langsam. "Da dachte ich..."
Ich wusste, was sie gedacht hatte. Und ich hätte ahnen müssen, dass sie so fühlen würde. Doch in jenem Moment war logisches Denken nicht unbedingt meine Stärke gewesen.
"Du dachtest, ich hätte meine Meinung geändert."
"Ja." Sie blickte finster.
"Ich fühle mich so schrecklich, weil ich ... dir Hoffnungen gemacht habe. Ich wollte nicht, dass - Ich hab nicht nachgedacht... Ich bin in großer Eile gegangen."
"Ich nehme an, du wirst mir nicht sagen, wieso..?"
Ich setzte mich auf und schlang die Arme um die Knie, es war eine Art Verteidigungshaltung. 
"Ich will nicht darüber reden."
Tanya, Irina und Kate kamen sehr gut aus mit dem Leben, für dass sie sich entschieden hatten. In mancher Hinsicht sogar noch besser als Carlisle. Trotz der waghalsigen Nähe zu jenen, die eigentlich ihre Opfer sein sollten - und es früher einmal waren -, machten sie keine Fehler. Ich war zu beschämt, um Tanya von meiner Schwäche zu erzählen.
"Frauenprobleme?", riet sie, meinen Widerwillen geflissentlich ignorierend.
Ich lachte. "Nicht so, wie du denkst."
Sie schwieg. Ich hörte ihre Gedanken, als sie verschiedene Möglichkeiten durchging und versuchte, die Bedeutung hinter meinen Worten zu entschlüsseln.
"Nicht mal annähernd", teilte ich ihr mit.
"Gibst du mir einen Tipp?"
"Vergiss es, Tanya. Bitte."
Wieder war sie ruhig, immer noch spekulierte sie. Ich ignorierte sie und versuchte vergeblich, mich auf die Sterne zu konzentrieren.
Nach einem Moment des Schweigens hab sie auf und ihre Gedanken schlugen eine neue Richtung ein.
Wo wirst du hingehen, wenn du ins verlässt, Edward? Zurück zu Carlisle?

"Ich glaube nicht", flüsterte ich.
Wo würde ich hingehen? Ich konnte mir auf dem ganzen Planeten keinen Platz vorstellen, der für mich von Interesse war. Es gab nichts, was ich unbedingt einmal sehen oder tun wollte. Denn, egal wo ich war, ich würde nirgendwo hingehen - ich würde nur davonlaufen.
Ich hasste das. Wann war ich so ein Feigling geworden?
Tanya legte mir ihren schlanken Arm um die Schultern. Ich versteifte, wehrte mich aber nicht. Sie meinte es nur freundlich. Meistens.
"Ich bin mir sicher, dass du zurückgehen wirst", sagte sie und man hörte nur eine Spur ihres lange abgelegten russischen Akzents. "Egal, was ... oder wer ... dich jagt. Du wirst dich der Sache stellen. Du bist der Typ dafür."
Ihre Gedanken waren genauso bestimmt wie ihre Worte. Ich versuchte mich an das Bild von mir selbst zu klammern, dass sie vor Augen hatte. Der Typ, der sich Dingen stellte. Es tat gut, wieder so von mir zu denken. Ich hatte nie an meinem Mut gezweifelt, meinem Talent, Schwierigkeiten ins Gesicht zu sehen - bis zu jener Biologiestunde.
Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und lehnte mich schnell wieder zurück, als sie ihr Gesicht meinem zuwandte. Sie lächelte reuevoll über meine Schnelligkeit.
"Danke, Tanya. Das hab ich gebraucht."
Ihre Gedanken wurden launisch. "Gern geschehen, vermute ich mal. Ich wünschte, du wärest vernünftiger, was manche Dinge angeht, Edward."
"Es tut mir leid, Tanya. Du weißt, dass du viel zu gut für mich bist. Ich habe ... bis jetzt nur noch nicht gefunden, wonach ich suche."
"Hm. Falls du gehst, bevor ich dich noch mal sehe ... auf Wiedersehen, Edward."
"Auf Wiedersehen, Tanya." Da konnte ich es plötzlich sehen. Ich konnte sehen, wie ich fort ging. Wie ich stark genug sein würde, zu dem einzigen Platz zurückzukehren, an dem ich sein wollte. "Danke noch mal."
Mit einer geschickten Bewegung sprang sie auf die Füße und dann lief sie fort, verschwand so schnell in der Schneewehe, dass ihre Füße keine Zeit hatten einzusinken; sie hinterließ keine Fußspuren. Sie schaute auch nicht zurück. Meine Zurückweisung störte sie mehr, als sie zugeben wollte - selbst in ihren Gedanken. Sie wollte mich nicht noch mal sehen, bevor ich ging.
Leidend verzog ich den Mund. Ich mochte es nicht, Tanya zu verletzen, obwohl ihre Gefühle nicht sehr tief waren oder echt, und in keinem Falle etwas, was ich erwidern könnte. Ich fühlte mich dadurch weniger wie ein Gentleman.
Ich legte das Kinn auf die Knie und starrte wieder hinauf zu den Sternen, doch plötzlich war ich beunruhigt. Alice würde sehen, dass ich zurückkam und sie würde den anderen davon erzählen. Es würde sie freuen - besonders Carlisle und Esme. Aber als ich für einen Moment zu den Sternen hinaufstarrte und versuchte an dem Gesicht in meinem Kopf vorbeizuschauen, starrte ein Paar verwirrter schokoladenbrauner Augen zurück, als wolle es fragen, was diese Entscheidung für sie bedeutete. Natürlich konnte ich mir nicht sicher sein, nach welcher Antwort diese neugierigen Augen suchten. Selbst in meiner Vorstellung hörte ich ihre Gedanken nicht. Wieder blieb mir die klare Sicht auf die Sterne verwehrt.
Seufzend gab ich auf und erhob mich. Wenn ich rannte, würde ich in weniger als einer Stunde wieder bei Carlisle’s  Auto sein.
In Eile, meine Familie zu sehen - und im Willen, der Edward zu sein, der sich Dingen stellte - rannte ich über das sternenbeschienene Schneefeld; keine Fußabdrücke hinterlassend. 


"Es wird gut gehen", flüsterte Alice. Ihre Augen wanderten ziellos umher und Jasper hatte eine Hand leicht an ihrem Ellbogen, führte sie vorwärts, als wir in einer geschlossenen Gruppe die heruntergekommene Cafeteria betraten. Rosalie und Emmett gingen voran, wobei Emmett lächerlich ernst blickte, wie ein Bodyguard mitten in feindlichem Territorium. Auch Rosalie schien wachsam, aber mehr genervt als beschützend.
"Klar wird es das", knurrte ich. Ihr Verhalten war albern. Wenn ich mir nicht sicher wäre, dass ich damit umgehen konnte, wäre ich zuhause belieben. 
Die plötzliche Wechsel von unserem normalen, sogar scherzhaftem Morgen - nachts hatte es geschneit und Emmett und Jasper hatten es sich nicht nehmen lassen, meine Ablenkung auszunutzen um mich mit Schneebällen zu bombardieren; als meine fehlende Reaktion darauf sie gelangweilt hatte, waren sie dazu übergegangen sich gegenseitig zu bombardieren - zu dieser übertrieben Wachsamkeit wäre ja lustig gewesen, wenn es nicht so tierisch genervt hätte.
"Sie ist noch nicht da, aber sie kommt jeden Moment ... Sie wäre nicht in Windrichtung, wenn ihr an unserem gewöhnlichen Platz sitzen."
"Natürlich werden wir an unserem gewöhnlichen Platz sitzen. Hör auf damit, Alice. Du nervst. Es wird nichts passieren."
Sie zwinkerte Jasper zu, als dieser ihr auf ihren Platz half, dann blieb ihr Blick an meinem Gesicht hängen.
"Hmm", sagte sie überrascht. "Ich glaube, du hast Recht."
"Natürlich hab ich Recht", murmelte ich.
Ich hasste es, im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit zu stehen. Ich fühlte plötzliche Sympathie für Jasper, als ich mich an all die Male erinnerte, in denen wir in so übertrieben vorsichtig behandelt hatten. Er begegnete kurz meinem Blick und grinste.
Nervig, oder?

Ich verzog das Gesicht.
War es erst letzte Woche gewesen, dass dieser lange eintönige Raum mir so  sterbenslangweilig vorgekommen war? Dass es schien wie Schlaf, wie ein Koma, hier zu sein?
Heute waren meine Nerven bis zum Zerreißen gespannt, auf jedes noch so kleine Detail reagierend. Meine Sinne waren geschärft wie nie zuvor; ich achtete auf jedes Geräusch, jeden Anblick, jede Bewegung der Luft, jeden Gedanken. Besonders auf die Gedanken. Es gab nur einen Sinn, den ich versuchte auszuschalten. Geruch. Natürlich. Ich atmete nicht. 
Ich erwartete, in den Gedanken, die ich durchforstete, mehr über die Cullens zu hören. Den ganzen Tag wartete ich, suchte nach wasauchimmer das Mädchen erzählt hatte, versuchte zu sehen, welche Richtung der neue Klatsch einschlug. Aber es gab nichts. Niemand bemerkte die fünf Vampire in der Cafeteria, genau wie früher, bevor das neue Mädchen gekommen war. Ein paar von ihnen dachten immer noch an sie, dachten genau das gleiche wie letzte Woche. Anstatt unendlich gelangweilt war ich nun fasziniert. Hatte sie niemandem etwas über unsere Begegnung erzählt?
Es war unmöglich, dass sie meinen schwarzen mörderischen Blick nicht bemerkt hatte. Ich hatte ihre Reaktion gesehen. Sicherlich hatte ich sie verängstigt. Ich war mir absolut sicher gewesen, dass sie jemandem davon erzählt hatte, die Geschichte vielleicht sogar übertrieben hatte, um sich interessanter zu machen - dass sie mich bedrohlicher dargestellt hatte. Und dann hatte sie ebenfalls gehört, wie ich versucht hatte, den Biologiekurs zu wechseln. Nachdem sie meinen Gesichtsausdruck gesehen hatte, musste sie sich einfach gefragt haben, ob sie der Grund dafür war. Ein normales Mädchen hätte herumgefragt, ihre Erfahrungen mit denen anderer verglichen, einen Grund gesucht, der mein Verhalten erklären würde, sodass sie sich nicht ausgrenzt fühlte. Menschen bemühten sich immer verzweifelt, normal zu sein, reinzupassen. Sich jedem um sich herum anzugleichen, wie eine Herde von Schafen. Während der Teenagerzeit war dieses Bedürfnis besonders stark. Das Mädchen war sicherlich keine Ausnahme dieser Regel. 
Aber niemand achtete jetzt auf uns, wie wir hier saßen an unserem gewöhnlichen Tisch. Sie musste besonders schüchtern sein, wenn sie sich niemandem anvertraut hatte. Vielleicht hatte sie mit ihrem Vater gesprochen, vielleicht hatte sie zu ihm die stärkste Beziehung ... obwohl das ungewöhnlich wäre, in Anbetracht der Tatsache, dass sie ihr ganzes Leben über so wenig Zeit mit ihm verbracht hatte. Das Verhältnis zu ihrer Mutter musste enger sein. Trotzdem sollte ich in nächster Zeit mal bei Chief Swan vorbeischauen, um zu hören, was er dachte.
"Irgendwas Neues?", fragte Jasper.
"Nichts. Scheint, als hätte sie nichts gesagt."
Sie alle vier hoben eine Augenbraue bei dieser Neuigkeit.
"Vielleicht bist du ja gar nicht so beängstigend, wie du denkst", kicherte Emmett. "Ich wette, ich hätte sie besser erschrecken können."
Ich verdrehte die Augen.
"Ich frag mich, wieso..." Er tüftelte weiter über dem eigenartigen Schweigen des Mädchens.
"Das hatten wir doch schon. Ich - weiß - es - nicht."
"Sie kommt gerade rein", murmelte Alice plötzlich. "Versucht, euch menschlich zu benehmen."
"Menschlich, sagst du?", wiederholte Emmett breit grinsend.
Er hielt seine rechte Faust hoch und brachte den Schneeball zum Vorschein, den er in seiner Hand aufbewahrt hatte. Natürlich war er dort nicht geschmolzen. Er presste ihn zu einem festen Eisklumpen zusammen. Er hatte die Augen auf Jasper gerichtet, aber ich wusste, in welche Richtung er in Gedanken zielte. Alice natürlich auch.
Als er den Eisklumpen plötzlich in ihre Richtung schleuderte, schnippte diese ihn mit einer beiläufigen Bewegung ihrer Finger fort.
Er flog durch die Cafeteria, zu schnell für menschliche Augen, und zerschellte mit einem scharfen Krachen an der Wand. Die Wand krachte ebenfalls.
Alle Köpfe in dieser Ecke des Raumes fuhren herum und starrten auf das Häufchen Schnee auf dem Fußboden, dann sahen sie sich um und versuchten den Täter auszumachen. Aber mehr als ein paat Tische weit schauten sie nicht. Niemand verdächtigte uns.
"Sehr menschlich, Emmett", keifte Rosalie. "Warum läufst du nicht gleich durch die Wand, wo du gerade dabei bist?"
"Es sähe viel beeindruckender aus, wenn du es machen würdest, Baby."
Ich versuchte ihnen meine Aufmerksamkeit zu schenken und grinste, als sei ich ein Teil ihres Spiels. Ich zwang mich, nicht zu der Reihe zu schauen, in der das Mädchen anstand. Aber in Wirklichkeit galt meine volle Aufmerksamkeit dem, was dort vor sich ging.
Ich hörte Jessicas Ungeduld mit dem neuen Mädchen, das ebenfalls abgelenkt schien und nur reglos dastand. In ihren Gedanken sah ich Bella Swans Gesicht, das Blut färbte ihre Wangen leuchtend rosa.
Ich atmete kurz und flach, bereit, jederzeit damit aufzuhören, wenn auch nur die leiseste Spur ihres Geruchs zu uns herüberwehte.
Mike Newton war bei den beiden Mädchen. Ich hörte seine Stimmen - die verbale wie auch die mentale -, als er Jessica fragte, was mit dem Swan-Mädchen nicht stimmte. Ich mochte es nicht, wie seine Gedanken sie umkreisten, wie die altbekannten Fantasien mit ihm durchgingen, während er beobachtete, wie sie aus ihrer Träumerei erwachte und ihn anstarrte, als hätte sie vergessen, dass er da war.
"Gar nichts", hörte ich das Mädchen in ihrer leisen, klaren Stimme sagen. Sie schien sich wie eine Glocke über das Gebrabbel in der Cafeteria zu erheben, aber ich wusste, dass das nur daran lag, dass ich so auf sie fixiert war.
"Ich nehme nur was zu trinken", fuhr sie fort, als sie die Lücke zu der Schlange schloss.
Ich konnte nicht anders, als ihr einen kurzen Blick zuzuwerfen. Sie starrte auf den Fußboden, während das Blut langsam aus ihrem Gesicht wich. 
Ich schaute schnell wieder weg, zu Emmett, der über das jetzt schmerzverzerrte Lächeln auf meinem Gesicht lachte.
Du siehst schlecht aus, Bruder.

Ich veränderte meinen Gesichtsausdruck, sodass ich normal und unbesorgt aussah.
Jessica wunderte sich laut über den mangelnden Appetit des neuen Mädchens. "Hast du keinen Hunger?"
"Ehrlich gesagt, mir ist ein bisschen schlecht." Ihre Stimme war schwächer, aber immer noch klar.
Warum ärgerte es mich, dieses Interesse, das von Mike Newtons Gedanken ausging? Warum machte es mir etwas aus, dass er beinahe besitzergreifend war? Es ging mich nichts an, ob Mike Newton unnötig besorgt um sie war. Hatte ich nicht auch, instinktiv, gewollt, sie zu beschützen?
Das heißt, bevor ich sie töten wollte ...
Aber war das Mädchen krank?
Schwer zu beurteilen - sie sah so zart aus mit ihrer durchscheinenden Haut ... Dann fiel mir auf, dass ich mir Sorgen machte, genau wie dieser dämliche Junge, und ich zwang mich, nicht weiter über ihre Gesundheit nachzudenken.
Trotzdem mochte ich es nicht, sie durch Mikes Gedanken zu überwachen. Ich ging zu denen von Jessica über und beobachtete genau, wie die drei sich entschieden, an welchen Tisch sie sich setzen sollten. Glücklicherweise saßen sie wieder bei Jessicas gewöhnlichen Tischnachbarn, an einem der vordersten Tische in der Cafeteria. Nicht in Windrichtung, wie Alice vorhergesagt hatte.
Alice stieß mich mit dem Ellbogen an. Sie schaut gleich rüber, benehm’ dich menschlich.

Hinter meinem Grinsen biss ich die Zähne zusammen.
"Entspann dich, Edward", sagte Emmett. "Wirklich. Dann tötest du eben einen Menschen. Das ist wohl kaum das Ende der Welt."
"Du musst es ja wissen", murmelte ich.
Emmett lachte. "Du musst lernen, über Sachen hinwegzukommen. Wie ich. Die Ewigkeit ist eine lange Zeit, um in Schuldgefühlen zu schwelgen."
In diesem Moment schleuderte Alice eine handvoll Schnee, die sie versteckt hatte, in Emmetts ahnungsloses Gesicht.
Er blinzelte überrascht, dann grinste er voller Vorfreude.
"Du hast es so gewollt", sagte er, als er sich über den Tisch lehnte und sein vom Schnee durchnässtes Haar in ihre Richtung schüttelte.
"Iiiihhh!!", beschwerte sich Rose, als sie und Alice vor der Sintflut in Deckung gingen.
Alice lachte und wir alle stimmten mit ein. Ich konnte in Alice' Kopf sehen, wie sie diesen perfekten Moment inszeniert hatte, und ich wusste, dass das Mädchen - ich sollte aufhören, so von ihr zu denken; als sei sie das einzige Mädchen der Welt -, dass Bella sehen würde, wie wir lachten und herumalberten und dabei glücklich aussahen, menschlich und unwirklich perfekt, wie einem Norman-Rockwell-Gemälde entsprungen. 
Alice lachte immer noch
und hielt ihr Tablett hoch wie einen Schild. Das Mädchen - Bella schaute also immer noch zu uns.
...starrt schon wieder die Cullens an, dachte jemand und erregte sofort meine Aufmerksamkeit.
Ich hielt automatisch Ausschau nach dem unabsichtlichen Ruf und als meine Augen ihr Ziel fanden, bemerkte ich, dass ich die Stimme erkannt hatte - ich hatte ihr heute lange genug gelauscht.
Aber meine Augen übergingen Jessica und richteten sich auf den durchdringenden Blick des Mädchens neben ihr.
Schnell wandte sie den Blick ab und verbarg das Gesicht wieder hinter ihrem dicken Haar.
Was dachte sie gerade? Es schien, als würde die Frustration mit der Zeit nur noch schlimmer werden anstatt besser. Ich versuchte - unsicher, was ich da tat, da ich es nie zuvor probiert hatte - die Stille um sie herum mit meinem Geist zu erforschen. Mein zusätzliches Gehör war immer da gewesen, ohne dass ich danach fragen musste; ich hatte niemals daran arbeiten müssen. Aber nun konzentrierte ich mich, versuchte, das eigenartige Schild zu umbrechen, das sie zu umgeben schien.
Doch nichts als Stille.
Was ist so besonders an ihr?, dachte Jessica und spiegelte dabei meine eigene Frustration wieder.
"Edward Cullen starrt dich an", flüsterte sie dem Swan-Mädchen ins Ohr und hängte ein hysterisches Kichern an. In ihrem Tonfall fand sich keine Spur ihrer boshaften Eifersucht. Jessica schien in der Lage zu sein, Freundschaft zu heucheln.
Ich lauschte auf die Reaktion des Mädchens.
"Er sieht aber nicht sauer aus, oder?", flüsterte sie zurück.
Also hatte sie meine groteske Reaktion letzte Woche bemerkt. Natürlich hatte sie das.
Die Frage verwirrte Jessica. Ich sah mein Gesicht in ihren Gedanken, als sie meinen Gesichtsausdruck überprüfte, aber ich begegnete ihrem Blick nicht. Ich konzentrierte mich immer noch auf das Mädchen und versuchte, irgendetwas zu hören. Sie versessen anzustarren schien absolut nicht zu helfen.
"Nein", beantwortete Jessica ihre Frage, und ich wusste, wie gern sie Ja gesagt hatte - wie mein scheinbares Interesse an Bella sie wurmte-, aber sie ließ sich nichts davon anmerken. "Sollte er?"
"Ich glaube, er kann mich nicht leiden", wisperte das Mädchen zurück und legte ihren Kopf auf die Arme, als sei sie plötzlich müde. Ich versuchte, diese Geste zu verstehen, aber ich konnte nur Vermutungen anstellen. Vielleicht war sie müde. "Die Cullens können niemanden leiden", beruhigte Jess sie. "Na ja, eigentlich beachten sie niemanden genug, um ihn leiden zu können." Das haben sie noch nie getan. Ihre Gedanken waren anklagend. "Obwohl - er starrt dich immer noch an."
"Hör auf, ihn anzugucken", zischte das Mädchen unruhig und hob ihren Kopf, um sicherzustellen, dass Jessica ihr gehorchte.
Jessica kicherte, tat aber wie geheißen. 
Das Mädchen schaute die restliche Stunde über kein einziges Mal mehr auf. Ich nahm an - obwohl ich mir natürlich nicht sicher sein konnte -, dass das Absicht war. Es schien, als wolle sie zu mir schauen.
Sie wandte sich leicht in meine Richtung, ihr Kopf drehte sich kaum merklich; dann fing sie sich, atmete tief ein und starrte auf werauchimmer gerade redete. 
Ich ignorierte die Gedanken um sie herum größtenteils, da sie - vorübergehend - nicht mit ihr zu tun hatten. Mike Newton plante gerade eine Schneeballschlacht nach der Schule auf dem Parkplatz und schien nicht zu begreifen, dass der Schnee bereits zu Regen übergegangen war. Das leise Rieseln des Schnees auf dem Cafeteriadach war schon länger dem allzu bekannten Prasseln des Regens gewichen. Konnte er die Veränderung wirklich nicht hören? Mir kam es laut vor.
Als das Mittagessen vorbei war, blieb ich noch sitzen. Die Menschen machten sich langsam auf den Weg in ihre Klassen und ich ertappte mich bei dem Versuch, das Geräusch ihrer Schritte von dem der anderen zu unterscheiden, als sei etwas Wichtiges oder Ungewöhnliches an ihnen. Wie bescheuert.
Meine Familie machte ebenfalls keine Anstalten zu gehen. Sie warteten darauf, was ich tun würde.
Würde ich zum Unterricht gehen und neben dem Mädchen sitzen, wo ich ihr ungewöhnlich verlockendes Blut riechen und seine Wärme fühlen würde, wenn es durch ihren Körper pulsierte? Reichte meine Selbstbeherrschung aus dafür? Oder hatte ich genug für einen Tag?
"Ich glaube, es okay", sagte Alice zögernd. "Deine Zukunft sieht gut aus. Ich glaube, du wirst es die Stunde über durchhalten."
Aber Alice wusste nur zu gut, wie schnell die Zukunft sich ändern konnte.
"Warum die Anstrengung, Edward?", fragte Jasper. Obwohl er nicht zufrieden sein wollte, dass ich dieses Mal der Schwache war, tat er es, nur ein bisschen. "Geh nach Hause. Lass es langsam angehen."
"Wo ist das Problem?", widersprach Emmett. "Entweder bringt er sie um oder er tut es nicht. So oder so, es ist keine große Sache."
"Ich will aber noch nicht umziehen", beschwerte sich Rosalie. "Ich will nicht wieder von vorne anfangen. Wir haben die High School fast hinter uns, Emmett. Endlich."
Ich war hin- und her gerissen. Ich wollte mich unbedingt der Sache stellen, anstatt wieder fortzulaufen. Aber ich wollte auch kein zu großes Risiko eingehen. Für Jasper war es letzte Woche ein Fehler gewesen, so lange nicht jagen zu gehen; war ich dabei, einen ebenso sinnlosen Fehler zu begehen?
Ich wollte nicht schuld sein, dass meine Familie ihr Zuhause verlassen musste. Niemand von ihnen würde mir dafür danken.
Aber ich wollte zu Biologie gehen. Ich begriff, dass ich sie wieder sehen wollte.
Das entschied die Sache für mich. Die Neugier. Ich war wütend auf mich deswegen. Hatte ich mir nicht eingeredet, dass das Schweigen ihrer Gedanken mich nicht dazu bringen würde, mich übermäßig für sie zu interessieren? Und dennoch saß ich jetzt hier - am Interessiertesten von allen. 
Ich musste wissen, was sie dachte. Auch wenn ihre Gedanken mir verschlossen blieben, ihre Augen waren sehr offen. Vielleicht konnte ich in ihnen etwas lesen.
"Nein, Rose, ich bin mir sicher, dass es gut gehen wird", meinte Alice. "Es... wird konkret.  Ich bin mir zu dreiundneunzig Prozent sicher, dass nichts Schlimmes passiert, wenn er hingeht." Sie sah mich neugierig an, überlegte, was sich verändert hatte, dass ihre Zukunftsvisionen so verlässlich machte.
Würde Neugier reichen, um Bella Swan am Leben zu lassen?
Doch Emmett hatte Recht - es war keine große Sache. Ich würde mich der Versuchung stellen.
"Geht zum Unterricht", wies ich die anderen an und stand auf. Ohne mich noch einmal umzudrehen schritt ich davon. Ich hörte wie Alice' Sorge, Jaspers Tadel, Emmetts Beifall und Rosalies Ärger mir folgten.
Ich nahm einen tiefen Atemzug an der Tür des Klassenzimmers und füllte meine Lungen, bevor ich den kleinen warmen Raum betrat.
Ich war nicht zu spät dran. Mr Banner war gerade noch dabei, das Labor für heute herzurichten. Das Mädchen saß an meinem - an unserem Tisch, das Gesicht abgewandt und starrte auf ihre Mappe, während sie darauf herumkritzelte. Ich begutachtete die Zeichnung, als ich näher kam, interessierte mich selbst für diese bedeutungslose Kreation ihrer Gedanken, aber es war nichts Besonderes. Nur eine zufällige Kritzelei von Kringeln und Kreisen. Vielleicht konzentrierte sie sich auch nicht wirklich auf das, was sie da zeichnete? Vielleicht war sie mit den Gedanken ganz woanders?
Unnötig grob zog ich meinen Stuhl zurück, ließ ihn über das Linoleum kratzen; Menschen fühlten sich grundsätzlich wohler, wenn Geräusche jemandes Ankunft ankündigten. 
Ich wusste, dass sie das Geräusch gehört hatte; sie schaute zwar nicht auf, aber ihre Hand verpasste einen Kringel in dem Muster, das sie zeichnete, machte es unausgeglichen.
Wieso blickte sie nicht hoch? Wahrscheinlich hatte sie Angst. Ich musste sichergehen, dass ich dieses Mal einen anderen Eindruck bei ihr hinterließ. Sie dazu bringen zu glauben, sie habe sich alles nur eingebildet.
"Hallo", sagte ich in der ruhigen Stimme, die ich einsetzte, damit Menschen sich wohler fühlten, und brachte gerade so ein höfliches Lächeln zustande, das keine Zähne zeigen würde.
Nun schaute sie auf, in ihren großen braunen Augen spiegelte sich Überraschung - fast schon Verwirrung - und sie schienen voller stiller Fragen. Es war derselbe Ausdruck, der mir die ganze letzte Woche nicht aus dem Kopf gegangen war.
Als ich in diese seltsam tiefen braunen Augen starrte, merkte ich, dass der Hass - der Hass, von dem ich geglaubt hatte, sie habe ihn schon für ihre bloße Existenz verdient - verflogen war.
Dieses mal nicht atmend, ihren Geruch nicht schmeckend, fiel es mir nun schwer zu glauben, dass jemand so Verletzliches jemals Hass verdienen würde.
Ihre Wangen erröteten und sie schwieg.
Ich schaute ihr immer noch in die Augen, konzentrierte mich auf ihre fragende Tiefe, und versuchte ihre nur zu appetitliche Hautfarbe zu ignorieren. Ich hatte noch genug Luft, um eine Weile weiter zu sprechen, ohne einatmen zu müssen.
"Ich heiße Edward Cullen", stellte ich mich vor, obwohl ich sicher war, dass sie das bereits wusste. Es war ein höflicher Anfang. "Ich bin letzte Woche nicht dazu gekommen, mich vorzustellen. Du musst Bella Swan sein."
Sie schien verblüfft - da war wieder diese kleine Falte zwischen ihren Augen. Sie brauchte eine halbe Sekunde länger, als es eigentlich hätte dauern sollen, um zu antworten.
"W-Woher weißt du, dass ich Bella heiße?", wollte sie wissen, ihre Stimme schwankte ein wenig. Ich musste sie wirklich erschreckt haben. Ich fühlte mich schuldig deswegen; sie war einfach so schutzlos. Ich lachte leise - ein Geräusch, von dem ich wusste, dass es Menschen beruhigte.
Wieder war ich vorsichtig, was meine Zähne anging.
"Oh, ich würde sagen, alle hier wissen, wie du heißt." Sicher war ihr aufgefallen, dass sie zum Zentrum der Aufmerksamkeit in diesem eintönigen Kaff geworden war. "Die ganze Stadt hat auf deine Ankunft gewartet."
Sie runzelte die Stirn, als sei das weniger erfreulich. Ich nahm an, dass Aufmerksamkeit - wenn sie so schüchtern war, wie es schien - nicht unbedingt hilfreich war. Bei den meisten Menschen war das genaue Gegenteil der Fall. Obwohl sie sich nicht von der Masse unterscheiden wollten, so wünschten sie sich doch gleichzeitig ein Scheinwerferlicht auf ihre eigene Eintönigkeit.
"Nein", sagte sie. "Ich meine, warum hast du mich Bella genannt, nicht Isabella?"
"Ist die Isabella lieber?", fragte ich verwirrt, da ich nicht wusste, was diese Frage sollte. Ich verstand es nicht. Sicher hatte sie an ihrem ersten Tag oft klar gemacht, welchen Namen sie bevorzugte. Waren alle Menschen so unergründlich, wenn man den geistigen Zusammenhang nicht zu Hilfe hatte?
"Nein, ich mag Bella", antwortete sie und legte den Kopf leicht schief. Ihr Ausdruck lag - falls ich ihn richtig deutete - irgendwo zwischen Verlegenheit und Verwirrung. "Nur dass Charlie, also mein Dad, mich anscheinend hinter meinem Rücken Isabella nennt, jedenfalls scheint mich jeder hier unter diesem Namen zu kennen." Ihre Haut färbte sich noch eine Nuance röter.
"Ah", sagte ich lahm und wandte mich schnell ab.
Ich hatte begriffen, was ihre Frage zu bedeuten hatte. Ich war unvorsichtig gewesen - hatte einen Fehler gemacht. Hätte ich all den anderen an jenem ersten Tag nicht gelauscht, hätte ich sie anfangs bei ihrem vollen Namen genannt, wie jeder andere auch. Sie hatte den Unterschied bemerkt.
Ich fühlte einen plötzlichen Anflug von Unruhe. Sie hatte meinen Fehler erstaunlich schnell bemerkt. Sehr raffiniert, besonders für jemanden, der eigentlich durch meine bloße Nähe verängstigt sein sollte.
Doch ich hatte größere Probleme als wasauchimmer sie sich gerade über mich zusammenreimte.
Ich hatte keine Luft mehr. Falls ich wieder mit ihr sprechen würde, müsste ich einatmen.
Es würde schwer sein, das Sprechen zu vermeiden. Nicht gerade zu ihrem Glück machte dieser Tisch und zu Laborpartnern, was hieß, dass wir heute zusammenarbeiten mussten. Es würde seltsam und unverständlich gemein rüberkommen, falls ich sie dabei ignorierte. Es würde sie nur noch misstrauischer machen, noch ängstlicher ...
Ich lehnte mich so weit von ihr weg, wie ich konnte, ohne dabei meinen Stuhl zu bewegen und wandte mich Richtung Gang. Ich riss mich zusammen, spannte meine Muskeln an und atmete in einem schnellen Zug ein, nur durch den Mund.
Ahh!
Es war unglaublich schmerzhaft. Selbst wenn ich sie nicht roch, schmeckte ich ihren Duft auf der Zunge. Wieder brannte mir der Durst wie Feuer in der Kehle, das Verlangen war genauso heftig wie in jenem Moment, in dem ich ihren Geruch zum ersten Mal aufgeschnappt hatte.
Ich biss die Zähne zusammen und versuchte mich zu beruhigen.
"Die Zeit läuft", gab Mr Banner den Startschuss.
Ich hatte das Gefühl, als benötige es jedes Quantum Selbstbeherrschung, das ich in siebzig Jahren harter Arbeit angesammelt hatte, um mich wieder zu dem Mädchen umzudrehen, das so versessen den Tisch anstarrte, und zu lächeln.
"Ladies First?", bot ich an.
Sie schaute zu mir hoch und plötzlich wurde ihr Gesicht ausdruckslos, ihre Augen weiteten sich. Stimmte irgendetwas mit meinem Gesichtsausdruck nicht? Hatte ich sie wieder verängstigt? Sie sprach nicht.
"Ich kann auch anfangen, wenn du willst", sagte ich ruhig.
"Nein", sagte sie und ihr Gesicht färbte sich wieder rosa. "Ich mach schon."
Ich starrte lieber das Equipment auf dem Tisch an - das ramponierte Mikroskop, die Schachtel mit den Objektträgern -, als zu sehen, wie das Blut unter ihrer Haut pulsierte. Ich nahm einen weiteren kurzen Atemzug durch die Zähne, und zuckte zusammen, als ihr Geruch in meinem Hals schmerzte.
"Prophase", stellte sie nach kurzem Betrachten fest. Sie wollte das Präparat bereits auswechseln, obwohl sie es sich kaum angesehen hatte.
"Lässt du mich auch einen Blick drauf werfen?" Instinktiv - und dämlich -, als sei ich einer ihrer Art, hielt ich ihre Hand in der Bewegung fest. Für eine Sekunde brannte die Hitze, die von ihrer Hand ausging, auf meiner Hand. 
Es war wie ein elektrischer Impuls - heißer als 90 Grad. Die Hitze schoss durch meine Hand meinen Arm hinauf. Hastig zog sie ihre Hand unter der meinen weg.
"Entschuldigung", murmelte ich durch meine zusammengebissenen Zähne. Um irgendwo anders hinzuschauen, warf ich schnell einen Blick durch das Okular des Mikroskops. Sie hatte Recht.
"Prophase", stimmte ich ihr zu.
Ich war immer noch zu verstört, um sie anzuschauen. Ich ignorierte den brennenden Durst, als ich so leise wie möglich durch meine Zähne einatmete, und konzentrierte mich voll auf die einfache Aufgabe, die Lösung in der richtigen Stelle auf dem Blatt einzutragen und anschließend das Präparat zu wechseln.
Was dachte sie nun? Wie hatte es sich für sie angefühlt, meine Hand zu berühren? Meine Haut musste eiskalt gewesen sein - abstoßend. Kein Wunder, dass sie so still war.
Ich blickte flüchtig auf das Präparat.
"Anaphase", sagte ich mehr zu mir selbst, als ich die Lösung auf der zweiten Linie eintrug.
"Darf ich?", fragte sie.
Ich schaute zu ihr auf und war überrascht zu sehen, dass sie eine Hand erwartungsvoll nach dem Mikroskop ausgestreckt hatte. Sie wirkte nicht verängstigt. Dachte sie wirklich, meine Antwort sei falsch?
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich den hoffnungsvollen Blick sah, mit dem sie das Mikroskop entgegen nahm. 
Sie schaute durch das Okular mit einem Eifer, der schnell wieder schwand. Ihre Mundwinkel zogen sich nach unten.
"Nummer drei?", fragte sie, wobei sie jedoch nicht vom Mikroskop aufsah, sondern mit nur ihre Hand hinhielt. Ich reichte ihr das dritte Präperat und achtete dabei darauf, dass meine Haut die ihre nicht noch einmal berührte. Neben ihr zu sitzen war wie neben einem Heizstrahler zu sitzen. Ich konnte fühlen, wie meine Temperatur leicht anstieg.
Sie betrachtete das Präperat nicht lange. "Interphase", sagte sie lässig - vielleicht etwas zu bemüht, so zu klingen - und schob das Mikroskop zu mir rüber. Sie rührte das Arbeitsblatt nicht an und wartete stattdessen darauf, dass ich die Antwort aufschrieb. Ich überprüfte ihre Antwort kurz - wieder hatte sie Recht.
Wir beendeten die Übung so, sprachen nur das Nötigste und sahen uns niemals in die Augen. Wir waren als Erstes fertig - die anderen hatten mehr Probleme mit dem Versuch. Mike Newton fiel es offenbar schwer, sich zu konzentrieren - er versuchte, Bella und mich zu beobachten.
Ich wünschte, er wäre geblieben, wo auch immer er gewesen ist, dachte er und beäugte mich wütend. Hmm, interessant. Mir war nicht aufgefallen, dass der Junge eine Abneigung gegen mich hegte. Das war eine neue Entwicklung, ebenso neu wie die Ankunft des Mädchens. Doch noch interessanter fand ich, dass diese Abneigung - zu meiner eigenen Überraschung - auf Gegenseitigkeit beruhte.
Ich blickte wieder das Mädchen an, verwirrt von der Verwüstung und dem Aufruhr, den sie - trotz ihres gewöhnlichen, unbedrohlichen Auftretens - in meinem Leben anrichtete.
Es war nicht so, dass ich nicht sehen konnte, was Mike an ihr fand. Sie war eigentlich ziemlich hübsch ... auf ungewöhnliche Weise. Ihr Gesicht war mehr interessant als schön.
Es war nicht ganz symmetrisch - ihr schmales Kinn passte nicht zu ihren breiten Wangenknochen; extreme Färbungen - der Hell-Dunkel-Kontrast zwischen ihrer Haut und den Haaren; und da waren auch noch die Augen, die übersprudelten vor lauter stillen Geheimnissen.
Augen, die sich plötzlich in meine bohrten.
Ich starrte zurück und versuchte, wenigstens eins dieser Geheimnisse zu ergründen. 
"Hast du Kontaktlinsen bekommen?", fragte sie plötzlich.
Was für eine seltsame Frage. "Nein." Ich lächelte fast bei der Vorstellung, meine Sicht verbessern zu müssen.
"Oh", nuschelte sie. "Ich hatte das Gefühl, dass deine Augen irgendwie anders sind."
Mit einem Mal wurde mir wieder kalt, da mir klar wurde, dass ich heute offenbar nicht der einzige war, der versuchte Geheimnisse aufzudecken.
Ich zuckte mit den Schultern und starrte stur in die Richtung, wo der Lehrer seine Runden zog.
Natürlich war etwas anders mit meinen Augen, seit sie sie das letzte Mal gesehen hatte. Um mich auf die heutige Folter - die Versuchung - vorzubereiten, war ich das ganze Wochenende über auf der Jagd gewesen, hatte meinen Durst so gut es ging gestillt, es eigentlich schon übertrieben. Ich hatte Unmengen an tierischem Blut getrunken, wohl wissend, dass es nichts ändern würde im Angesicht des Duftes, der die Luft um sie herum erfüllte. Als ich sie beim letzten Mal angeblickt hatte, hatten meine Augen schwarz gefunkelt vor Durst. Jetzt, wo mein Körper mit Blut gefüllt war, waren sie von einem warmen Goldton. Bernsteinfarben von dem verzweifelten Versuch, meinen Durst zu löschen. Noch ein Ausrutscher. Hätte ich gewusst, was sie mit ihrer Frage meinte, hätte ich einfach Ja gesagt.
Seit zwei Jahren schon saß ich in dieser Schule unter Menschen und sie war die Erste, die mich intensiv genug musterte, um die Veränderung meiner Augenfarbe zu bemerken. Während andere die Schönheit meiner Familie bewunderten, neigten sie dazu, den Blick schnell zu senken, wenn wir ihn erwiderten. Sie scheuten zurück vor den Details ihrer Erscheinung, in dem instinktiven Bestreben, besser nicht zu verstehen. Unwissenheit war ein Segen für den menschlichen Geist.
Warum musste es ausgerechnet dieses Mädchen sein, dass zu viel sehen würde?
Mr Banner war mittlerweile an unserem Tisch angekommen. Dankbar atmete ich die Brise frischer Luft ein, die er mit sich brachte, bevor sie sich mit ihrem Duft mischen konnte.
"Edward", sagte er, als er unsere Antworten überflog, "Meinst du nicht, Isabella hätte auch ein wenig am Mikroskop üben sollen?"
"Bella", korrigierte ich automatisch. "Um ehrlich zu sein, drei der fünf hat sie identifiziert."
Mr Banners Gedanken schienen skeptisch, als er sich zu dem Mädchen umwandte. 
"Hast du diese Übung schon mal gemacht?"
Gefesselt sah ich zu, wie sie etwas verlegen lächelte.
"Nicht mit Zwiebelwurzeln."
"Mit Fisch-Blastula?", riet Mr Banner.
"Hm-mhh."
Das überraschte ihn. Diesen Versuch hatte er einem fortgeschrittenen Kurs entnommen. Er nickte dem Mädchen gedankenverloren zu. "Warst du in Phoenix in einem College-Vorbereitungskurs?"
"Ja."
Sie war also fortgeschritten, intelligent für einen Menschen. Das überraschte mich nicht.
"Naja", meinte Mr Banner und schürzte die Lippen. "Vielleicht ist es ja ganz gut, dass ihr zusammensitzt." Er drehte sich um und ging, wobei er murmelte: "Damit die Anderen auch eine Chance haben, selbst etwas zu lernen." Ich bezweifelte, dass das Mädchen das gehört hatte. Sie fing wieder an, Kringel auf ihren Ordner zu zeichnen.
Zwei Ausrutscher bisher, in nur einer halben Stunde. Eine ziemlich armselige Vorstellung meinerseits. Obwohl ich keine Ahnung hatte, was sie von mir hielt - wie verängstigt war sie? Was ahnte sie? - wusste ich, dass ich mehr Ehrgeiz zeigen müsste dabei, einen anderen Eindruck bei ihr zu hinterlassen. Etwas, dass die Erinnerung an unser grausames letzes Treffen übertönte. 
"Schade mit dem Schnee, nicht wahr?", wiederholte ich den Small-Talk, den ich heute schon von dutzenden Schülern gehört hatte. Ein langweiliges Gesprächsthema. Alltäglich. Das Wetter - funktionierte immer.
Mit deutlichem Zweifel starrte sie mich an - eine ungewöhnliche Reaktion auf meine normalen Worte. "Ehrlich gesagt, nein", meinte sie, was mich ebenfalls überraschte.
Ich versuchte, die Unterhaltung wieder in eine banale Richtung zu lenken. Sie stammte von einem helleren, wärmeren Ort - ihre Haut schien das irgendwie auszustrahlen - und die Kälte musste unangenehm für sie sein. Genau wie meine eisige Berührung ... 
"Du magst die Kälte nicht", riet ich.
"Genau so wenig wie die Nässe", stimmte sie zu.
"Dann ist Forks wohl nicht gerade ein angenehmer Ort für dich." Vielleicht hättest du niemals hierher kommen sollen, wollte ich hinzufügen. Vielleicht solltest du dorthin zurückgehen, wo du hingehörst.

Doch ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich wollte. Ich würde mich auf ewig an ihren Duft erinnern - gab es irgendeine Garantie dafür, dass ich ihr nicht doch folgen würde? Außerdem würden ihre Gedanken mir für immer ein Rätsel bleiben, wenn sie ginge. Ein dauerndes, quälendes Rätsel.
"Wenn du wüsstest", sagte sie mit schwacher Stimme und schaute einen Moment gedankenverloren an mir vorbei.
Sie antwortete nie das, was ich von ihr erwartete. Was mich dazu brachte, immer weiter zu fragen.
"Warum bist du dann hierher gezogen?", fragte ich drängend und verstand sofort, dass man Tonfall zu anklagend war, nicht normal genug für die Unterhaltung. Die Frage klang unhöflich. Neugierig.
"Komplizierte Geschichte."
Sie blinzelte nur und beließ es dabei, und ich platze fast vor Neugier - sie brannte so heiß wie der Durst in meiner Kehle. Eigentlich fiel es mir sogar schon etwas leichter, zu atmen; die Höllenqualen wurden erträglicher, je bekannter sie wurden.
"Ich bin mir sicher, dass ich folgen kann", beharrte ich. Vielleicht würde der Anstand sie weiter meine Fragen beantworten lassen, solange ich unhöflich genug war sie zu stellen.
Schweigend betrachtete sie ihre Hände. Ich wurde ungeduldig; ich wollte ihr die Hand unters Kinn legen, ihr Gesicht anheben, damit ich in ihren Augen lesen konnte. Aber es wäre töricht - gefährlich - gewesen, ihre Haut noch einmal zu berühren.
Plötzlich sah sie auf. Es war erleichternd, wieder die Gefühlsregungen in ihren Augen sehen zu können. Sie sprach in Eile, hetzte durch die Worte.
"Meine Mutter hat wieder geheiratet."
Ah, das war menschlich genug, leicht verständlich. Traurigkeit flackerte kurz in ihren Augen auf und brachte die kleine Falte zwischen ihnen zurück.
"Das klingt doch gar nicht so kompliziert", sagte ich. Meine Stimme klang sanft, ohne dass ich mir Mühe geben musste, sie so klingen zu lassen. Ihre Traurigkeit machte mich seltsam hilflos und ich wünschte, ich könnte etwas tun, damit sie sich besser fühlte. Ein eigenartiger Impuls. "Wie lange ist das her?"
"Letzten September." Sie atmete schwer aus - es war nicht ganz ein Seufzen. Ich hielt die Luft an, als ihr warmer Atem mein Gesicht streifte.

 

 

 

 
 
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